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17.10.2024 denkmal

denkmal schützt… Retten, bis der Krieg vorüber ist

Der ukrainische Restaurator, Künstler und Kunstkritiker Dr. Viacheslav Shulika ist Spezialist für Ikonen. Zuletzt arbeitete er als außerordentlicher Professor und Leiter der Abteilung für Restaurierung und Prüfung von Kunstwerken an der Staatlichen Akademie für Design und Kunst in Charkiw. Am 24. Februar 2022 war er im Urlaub außerhalb der Ukraine. Heute, mehr als zweieinhalb Jahre nach Beginn des russischen Angriffs auf die gesamte Ukraine, arbeitet er bei der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg. Im denkmalbrief erklärt er, wie er sich aus der Ferne für den Schutz des kulturellen Erbes einsetzt.

Dr. Viacheslav Shulika ist zwar viele Kilometer von seiner Heimat getrennt, dennoch ist er voll eingebunden und kommuniziert fast täglich mit Menschen in der Ukraine, die sich für den Schutz der dortigen kulturellen Werte einsetzen. Von Deutschland aus ist er an der Koordination der Evakuierung kultureller Werte aus den Sammlungen beteiligt, die beschädigt oder angegriffen wurden, insbesondere im Osten und Süden der Ukraine. Für uns hat er einige Fragen zu seinen Tätigkeiten wie der aktuellen Lage des ukrainischen Kulturgutes beantwortet.

Redaktion: Herr Shulika, welche Kulturgüter sind besonders von dem russischen Angriffskrieg betroffen?

Dr Shulika: Durch den Angriff der Armee der Russischen Föderation werden Denkmäler der Architektur, Kultur und Geschichte, Museen und Archive beschädigt. In den besetzten Gebieten kommt es zu einer systematischen Zerstörung kultureller, wissenschaftlicher und künstlerischer Güter. Baudenkmäler wurden seit dem ersten Tag der groß angelegten Invasion mit Raketen, Artillerie und Fliegerbomben bombardiert. Insofern – alle Kulturgüter sind betroffen oder können potentiell betroffen sein, sofern sie in der Reichweite der russischen Artillerie liegen oder sich sogar schon in den besetzten Gebieten befinden.

Welche Kulturgüter müssen die Ukraine wie die internationale Gemeinschaft inzwischen als verloren betrauern, was wurde beschädigt?

Da fällt mir zuerst das vollkommen zerstörte Gebäude des Mariupoler Kunstmuseum ein, das Arkhip Kuindzhi gewidmet war, einem Maler des Realismus. Zu dem Zeitpunkt, als die Bombe das Museum traf – das war im März 2023 - befanden sich zwar keine originalen Werke von Kuindzhi im Museum, dafür aber seine Briefe, Fotografien und persönlichen Dokumente. Zudem waren noch einige Werke von zeitgenössischen Künstlern im Museum. Außerdem ist das Regionalarchiv von Tschernihiw komplett verbrannt, alle Dokumente, die sich darin befanden, sind zerstört. Die Holzkirche aus dem 17.-19. Jahrhundert im Dorf Kurylivka in der Region Charkiw sowie das Hausmuseum der Vertreterin der Naiven Kunst Polina Raiko in der Region Cherson sind unwiederbringlich verloren. Ihr Haus wurde übrigens durch die Zerstörung des Kachowskaja-Staudamms durch die russische Armee im Juni 2023 und die anschließende Überschwemmung zusammen mit den Raiko-Fresken zerstört.

Beschädigt, aber nicht vollkommen zerstört wurden das Kunstmuseum in Charkiw, das Grigory-Skoworoda-Museum im Dorf Skoworodyniwka im Gebiet Charkiw, das den gleichnamigen Philosophen und Dichter zum Gegenstand hat, Fenster und Dach der Kunstgalerie Kyiv wurden beschädigt genauso wie beim Kyiver Bohdan-und-Varvara-Khanenko National Museum mit seinen Ausstellungen zu west- und osteuropäischer Kunst, sowie zahlreiche andere Kulturinstitutionen.

Gilt es auch, Kunstwerke vor Raub oder Plünderung der russischen Armee zu schützen?

Sofern es noch möglich ist. Schutz vor Raub und Plünderung heißt hier ja eigentlich Evakuierung. Der Angriff im Jahr 2022 kam unerwartet, daher wurde im Notfall evakuiert. In den Städten, die in den ersten Tagen der groß angelegten Invasion im Februar 2022 besetzt wurden, war das nicht mehr möglich. Es kam vor, dass ein Teil der Kulturgüter vom Museumspersonal versteckt wurde. Die russische Armee suchte auch danach, teils folterte der FSB auch Museumsmitarbeiter:innen.

Heute werden aber immer noch in den besetzten Gebieten die Bibliotheken, Museen und archäologischen Denkmäler geplündert. Das betraf unter anderem das Kunst- und das Heimatmuseum in Cherson. Im Melitopoler Heimatmuseum befand sich eine Sammlung skythischen Goldes, die geraubt wurde. Hauptsächlich beobachten wir aber zerstörte Institutionen infolge von Kampfhandlungen und der Bombardierung von Städten.

Welche Akutmaßnahmen können denn ergriffen werden, wenn beispielsweise eine Bombe ein Museum getroffen hat?

Das hängt ganz vom Fall ab, da anfangs ja noch keine präventiven Maßnahmen ergriffen wurden, anders als heute, wo evakuiert wird, was transportiert werden kann. Nach dem 24. Februar 2022 wurde aber zunächst im Notfallmodus und immer provisorisch gearbeitet. Die Ausstellung im Kunstmuseum Charkiw wurde direkt nach der Großinvasion in mehreren Etappen abgebaut und an einen sicheren Ort gebracht. Da man sich zunächst nicht darüber im Klaren war, wohin die Museumsgegenstände gebracht werden sollten, wurde ein Teil der Mittel in den technischen Räumlichkeiten eines U-Bahnhofs in Charkiw untergebracht. Aber unangemessene Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsparameter wirkten sich negativ auf Museumsobjekte aus. Die weitere Lagerung in U-Bahn-Räumlichkeiten war nicht mehr zu verantworten. Also musste die Evakuierung eingeleitet werden, an der sich neben Museumsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern auch Lehrpersonal und Studierende der Staatlichen Akademie für Design und Kunst Charkiw beteiligten.

Abstrakt gesprochen: überall hatten Museen erstens das Problem, wohin zu evakuieren sei, zweitens wie zu transportieren, drittens, wie das Kulturgut zu verpacken sei. Gelöst wurden diese Probleme nur durch die eigenen Netzwerke der Museumsverwaltungen und des Engagements ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie der Freiwilligen.

Können Sie sagen, wohin einzelne Sammlungen evakuiert werden?

Ich kann diese Frage nicht beantworten, da es sich um Verschlusssachen handelt. Ukrainische Restauratoren fragen einander nicht nach dem Aufbewahrungsort der Museumsgüter. Das ist die Regel.

Gab es bereits Erfahrungswerte durch die anhaltende Kriegssituation seit 2014?

Leider wurden die Erfahrungen aus dem Jahr 2014 nicht berücksichtigt. Es wurde allgemein angenommen, dass der Krieg nicht auf andere Regionen der Ukraine übergreifen würde. Aber auch schon im Jahr 2014 gab es Erfahrungen. In Donezk beispielsweise wurde 2014 die Ausstellung des Kunstmuseums abgebaut, Museumsgegenstände in Kisten verpackt und in Kellern versteckt. Dadurch war es möglich, Museumsobjekte für einen bestimmten Zeitraum vor Raub zu schützen. Aber leider war es nicht möglich, den Museumsfonds von Donezk in andere sichere Städte der Ukraine zu bringen, es gab keinen Transport, die Straßen waren von bewaffneten Militanten blockiert.

Sie erwähnten bereits, dass heute präventiv gehandelt werden kann. Welche Maßnahmen müssen dennoch ausgebaut, gegebenenfalls auch erst entwickelt werden, um Kulturgut in der Ukraine zu schützen?

Es ist notwendig, das Problem des Mangels an spezialisierten Lagern für die Sammlungen zu lösen. Außerdem müssen moderne Anweisungen zu den Standards für die Evakuierung von Museumsdenkmälern entwickelt werden.

Welche Unterstützung wird von Seiten europäischer und amerikanischer Partner beim Schutz des Kulturerbes zuteil?

Europäische und amerikanische Partner leisten Unterstützung in Form von Material und Ausrüstung für den Transport und die Erhaltung von Denkmälern. Einzelne europäische Institutionen leisten praktische Hilfe bei der Evakuierung, Lagerung und Restaurierung beweglicher Denkmäler.

Wo besteht hier Nachbesserungsbedarf? Welche Forderungen haben Sie an europäische und amerikanische Partner?

Es ist notwendig, die ukrainischen Restauratoren umfassender über die Materialien zu informieren, die als Hilfsgüter transferiert werden. Ich werde oft von Restauratoren verschiedener Museumseinrichtungen mit der Frage angesprochen: „Uns wurden Materialien übergeben, aber wir wissen nicht, wie wir sie richtig verwenden sollen.“

Ich berate sie, weil ich Erfahrung in der Arbeit in Deutschland habe. Es wäre eine gute Idee, Praktika für ukrainische Restaurator:innen in der EU- und in amerikanischen Restaurierungsinstitutionen zu organisieren.

Welche Empfehlungen für europäische Partner generell, vor allem aber in den Nachbarländern der Ukraine, haben Sie hinsichtlich präventiver Maßnahmen, falls der Krieg sich auf EU- beziehungsweise NATO - Gebiet ausweiten sollte? Anders gefragt - was hätten Sie kurz nach dem 24. Februar 2022 gern anders gemacht?

Ich glaube, dass das professionelle Niveau der Konservator:innen und Restaurator:innen in den EU-Ländern sehr hoch ist, außerdem wird die vorbeugende Konservierung und Evakuierung von Denkmälern in der EU gut durchgeführt. Was fehlt: meiner Meinung nach ist es zunächst einmal notwendig, zuverlässige unterirdische Depots für großflächige Sammlungen – also für Kunstwerke, Archive, archäologische Stücke und so weiter - zu errichten, in denen die Sammlungen mehrerer Museen aufbewahrt werden können. Diese müssen so ausgestattet sein, dass sie dem Beschuss durch Artillerie, Drohnen und Fliegerbomben standhalten können. Es sollte zudem ein Netzwerk entwickelt werden, über das in einer kritischen Situation die Kulturgüter schnell abtransportiert werden können. Die Erfahrung der Ukraine hat gezeigt, dass einerseits die oberirdischen Depots für die Kulturgüter nicht in der Lage sind, vor Zerstörung zu bewahren, andererseits können unterirdische Anlagen wie U-Bahn-Schächte auf Grund inkonsistenter Temperatur- und Feuchtigkeitsverhältnisse nicht lange als provisorische Lager vorhalten.

Wenn Sie an das Ende des Krieges denken, soweit vorstellbar - werden die Leerstellen, die der Krieg hinterlassen hat, sichtbar sein, denken Sie an Wiederaufbau? Allgemein gefragt, wie stellen Sie sich die Bedeutung des Krieges nach seinem Ende für das kulturelle Erbe der Ukraine vor?

Der Krieg in der Ukraine ist eine große Tragödie. Es war schwierig, sich den Krieg im 21. Jahrhundert vorzustellen, er ist nicht zivilisiert, modern oder menschlich, aber er ist die Realität, die wir erleben. Eine große persönliche Tragödie ist für mich die Zerstörung der Denkmäler, die ich einst erkundet habe oder zu erkunden gedachte. Ja, ich hoffe, dass die beschädigten Baudenkmäler wiederhergestellt werden. Dieser Prozess hat bereits auf der Ebene von Konsultationen und vorläufigen Konzepten begonnen.

Was die Restaurierung der Museumssammlung und der Kunstdenkmäler betrifft, so finden ebenfalls auf verschiedenen Ebenen Konsultationen, Treffen und Konferenzen statt. Derzeit werden Daten über die Anzahl und das Ausmaß der Schäden gesammelt. Natürlich wird die Restaurierung erhebliche Mittel und viel Arbeit für die verschiedenen Organisationen erfordern. Es besteht die große Hoffnung, dass nach dem Sieg der Ukraine die Arbeit der Restaurierungsorganisationen, der Museen und der staatlichen Stellen wieder aufgenommen wird und eine neue Ebene der Koordinierung mit einer klaren Zielvorstellung entsteht. Es ist wichtig, dass die Erfahrungen der führenden Organisationen der Europäischen Union in Bezug auf Ansätze, Sicherheit, Methoden und praktische Erfahrungen berücksichtigt werden.

Dr. Viacheslav Shulika wird am Freitag, dem 08. November an der Veranstaltung „Kulturerbe in Gefahr - Wie können wir auf neue Herausforderungen durch Klimawandel und Kriegs- und Konfliktlagen reagieren?“ teilnehmen. Die Veranstaltungsreihe beginnt um 10 Uhr im Kulturerbe Forum in Halle 2. Alle Infos hier.

Statue von Grigory Skovoroda im gleichnamigen Museum im Dorf Skovorodynivka. Links vor dem Beschuss, rechts nach dem Beschuss
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