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Netzwerk „Industriekultur“: Geschichte sichtbar machen
Denkmalschutz und -pflege lebt zu großen Teilen von ehrenamtlichem Engagement. Um die Menschen hinter dieser wichtigen Arbeit sichtbarer zu machen, stellen wir sie im denkmalbrief vor. Dieses Mal: Judith Rüber, die mit ihrem Mann Jan Kobel ab 2005 eine ehemalige Handschuhfabrik im thüringischen Arnstadt unter anderem in ein Hotel verwandelt hat. Aktuell widmet sich das Ehepaar dem Milchhof Arnstadt und neuen Nutzungsmöglichkeiten des Baudenkmals. Um weitere Industriedenkmäler zu schützen, haben beide das Netzwerk „Industriekultur“ gegründet.
Redaktion: Frau Rüber, in Ihrer Arbeit für den Denkmalschutz hat der ehemalige Milchhof in Arnstadt eine wichtige Rolle gespielt. Um den Bau nach jahrelangem Leerstand zu retten, haben Sie den Milchhof mit Unterstützung eines Partners kurzerhand gekauft. Warum ausgerechnet dieses Gebäude?
Judith Rüber: Der Milchhof ist ein Bau der klassischen Moderne von besonderer Qualität. Funktional für die Milchverarbeitung der beauftragenden Genossenschaft der Milchbauern des Arnstädter Umlands, reduziert und harmonisch im Baukörper und liebe- und wirkungsvoll im Detail, insbesondere die vieltönige Buca-Klinker-Fassade. In Vorbereitung des Jahres Bauhaus100 überzeugte der Milchhof auch andere und wurde Teil der Grand Tour, hundert wichtige Werke der Moderne in Deutschland.
Redaktion: War der Milchhof eine Art Initialzündung für das Netzwerk „Industriekultur“? Was steckt hinter der Initiative?
Judith Rüber: Ja, der Milchhof war die Initialzündung. Bereits durch die Handschuhfabrik waren wir für das Thema Industriekultur sensibilisiert. Doch mit dem Milchhof, in Bahnhofsnähe, zwischen weiterhin funktionierender Industrie und großen Arealen von Industriebrachen und anderen ungenutzten Gebäuden schärfte sich unser Fokus. Sehr bald begannen wir mit Tagungen, Symposien und Treffen Gleichgesinnter zum Thema mit dem Schwerpunkt Stadtentwicklung, Abriss, Graue Energie.
Redaktion: Welche Ziele verfolgen Sie mit der Initiative?
Judith Rüber: Unser Netzwerk Industriekultur und die in Zusammenarbeit mit der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) entstandene Website www.kulturfabriken.eu verfolgt mehrere Ziele:
1. Stärkung des Themas „Industriekultur“, vor allem in Thüringen, aber auch darüber hinaus.
2. Einzelne Standorte und Gebäude und die damit verbundenen Initiativen und Veranstaltungen sichtbar zu machen.
3. Durch Vernetzung die immer wieder gleichen Fragen von Förderung über Brandschutz bis zu Nutzungskonzepten gemeinsam bzw. unterstützend zu beantworten.
4. In Kommunen, den Ländern, im Bund einen konstruktiven Umgang mit diesen Schätzen der Baugeschichte zu fördern und die stetige Kritik insbesondere an einer Förderpolitik, die Abrisse großzügig unterstützt („der Schandfleck muss weg!“) und Sanierungen häufig in der Luft hängen lässt, aufrecht zu erhalten.
Redaktion: Anknüpfend an den letzten Punkt Ihrer Aufzählung – woher kommt diese Kritik an den Umgang der Politik mit dieser Art von Bauten?
Judith Rüber: Wir reden überwiegend von Bauwerken aus der Zeit zwischen 1860 und 1930. Das ist ein Goldenes Zeitalter des Bauens. Qualitativ, ästhetisch und oft auch von der unglaublichen Größe der Kubatur. Solche dauerhaften, eigentlich unkaputtbaren und für vielerlei Nutzungen zu transformierenden Gebäude werden aus vielerlei Gründen nie wieder entstehen und das, was sie ausstrahlen und an Lebensqualität bergen, ist durch nichts anderes zu ersetzen bzw. unwiderrufbar zerstört. Hinzu kommt: In jedem Gebäude steckt ein ähnlicher oder sogar größerer Aufwand an Material und Arbeitskraft wie für einen Neubau wieder aufgewendet werden müsste. Wieso diesen zerstören und teuer entsorgen, um erneut Material zu verschwenden, das in immer kürzeren Zyklen wieder einem Abriss zugeführt wird?
Redaktion: Welche Rolle kann die denkmal als europäische Leitmesse für Denkmalpflege spielen, um industrielle Bauten zu schützen und Initiativen wie die Ihre voranzubringen?
Judith Rüber: Bei Denkmal denkt jede:r zuerst an Kirchen, Schlösser, Burgen, Fachwerkhäuser und Villen. Industriekultur und Denkmal muss stärker zusammengedacht werden, alle Restaurierungs- und Sanierungsfragen stellen sich bei einem Industriegebäude – wenngleich oft im potenzierten Maßstab – genau wie bei jedem anderen Denkmal. Wir werden deswegen bei der denkmal 2022 in Leipzig als Netzwerk mit einem Stand vertreten sein und das machen, wofür Messen da sind: Anbieter und Lösungen entdecken und spannende Kontakte knüpfen!
Foto: Judith Rüber