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Wenn vereinter Einsatz nicht nur Berge versetzen kann
In der idyllischen Berglandschaft des Oberharzes auf dem Gelände der 1897 eröffneten Lungenheilanstalt Albrechtshaus, von der heute nur Überreste vorhanden sind, steht die Stabkirche Stiege – besser gesagt: sie stand. Denn unter unermüdlichem Einsatz des Vereins Stabkirche Stiege wurde sie um gut sechs Kilometer vom Wald in den Ort versetzt, um sie zu erhalten und vor Vandalismus zu schützen. Im Interview beleuchtet die Sprecherin des Vereins Cosima Pilz den aufwändigen Prozess um die Versetzung des historischen Kleinods.
Redaktion: Was ist die Geschichte der Stabkirche Stiege?
Cosima Pilz: Die Anstaltskappelle im norwegischen Drachenstil soll der Legende nach von einem skandinavischen Patienten aus Dankbarkeit gestiftet worden sein. Gebaut von der Firma W. Witte aus Osterwieck erweckt sie durch ihre Zierelemente den Eindruck einer Stabkirche, allerdings fehlen wichtige Merkmale: So einigte sich der Verein darauf, den Begriff als Eigennamen zu verwenden. 1905 geweiht, hatte sie stets den Status einer Privatkirche und wurde lediglich pastoral von der Kirchengemeinde Stiege/Hasselfelde betreut. Nach der Schließung des Albrechtshauses blieb sie über 20 Jahre ungenutzt und war von Vandalismus betroffen. 2013 fiel das Hauptgebäude einem Brand zum Opfer – die Stabkirche blieb wie durch ein Wunder unbeschädigt.
Redaktion: Wie viele Mitglieder hat der Verein und wann wurde er gegründet?
Cosima Pilz: Der Verein wurde 2014 gegründet, er hat jetzt mehr als 160 Mitglieder deutschlandweit.
Redaktion: Was war der Gedanke hinter der Vereinsgründung?
Cosima Pilz: Die Initialzündung war der Albrechtshaus-Brand. Nach der Schließung des Albrechtshauses Ende 1993 hatte man sich um eine Nachnutzung bemüht und es wurde ein Käufer gefunden. Im Rahmen eines gescheiterten Hotelprojektes wurde das Gelände dann samt Kirche mehrfach weiterverkauft. In den 1990er Jahren gab es Bemühungen, die Kirche zu versetzen. Die Pläne wurden jedoch wieder fallengelassen – überwiegend aus finanziellen Gründen.
Redaktion: Wie lange liefen die Vorbereitungen und wie viel Zeit benötigte dann die Versetzung selbst?
Cosima Pilz: 2014 begannen die Vorbereitungen, zunächst wurde viel recherchiert. Albrechtshaus und Kirche waren mehrfach weiterverkauft worden. Der letzten Eigentümerin war die Existenz der Kirche überhaupt nicht bekannt. Wir konnten mit ihr ein sehr gutes Verhältnis aufbauen und einen Übertragungsvertrag mit einem klar definierten Umsetzungszeitraum bis 2024 abschließen. Es musste entschieden werden, inwieweit wir das Projekt bekannt machen, da man damit nicht nur wohlgesonnene Menschen aufmerksam macht. Ohne die umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit hätten wir das Vorhaben aber nicht realisieren können. 2020 kam endlich der lang ersehnte Fördermittelbescheid. Im November 2020 wurde das Fundament erstellt, im März 2021 begann der Abbau im Albrechtshaus, parallel dazu dann der Aufbau in Stiege.
Redaktion: Gab es besondere Herausforderungen – etwa zu baurechtlichen Fragen oder der praktischen Realisierung?
Cosima Pilz: An erster Stelle stand die Bereitstellung der finanziellen Mittel – die erste Schätzung 2014 belief sich auf ca. 500.000 €, es wurde jedoch mehr als das Doppelte benötigt. Die Verantwortlichen im Verein haben das für uns passende Fördermittelprogramm gefunden und mit Hilfe von Bund, dem Land Sachsen-Anhalt, Stiftungen und vielen Einzelspenden die Finanzierung gesichert. Von der Denkmalschutzbehörde gab es klare Vorgaben zur baulichen Umsetzung. Zuvor konnten wir für die Kirche den Status eines „Denkmals von nationaler Bedeutung“ erlangen. Dann waren ein geeignetes Planungsbüro sowie sachverständige Fachfirmen nötig und der Bau musste mit den aktuell gültigen Bestimmungen der Bauordnung in Einklang gebracht werden. Bauzeitenplan und Budget mussten im Auge behalten, Rechnungen geprüft und Fördermittel abgerufen werden. Die Auswirkungen der Pandemie kamen erschwerend hinzu. Bei den Einwohnern mussten wir Überzeugungsarbeit leisten und auch im Verein gab es Spannungen. Aber es ging immer weiter – mit neuen Ideen und anderen Wegen!
Redaktion: Von wem wurde das Projekt noch begleitet?
Cosima Pilz: Stellvertretend möchte ich hier das Planungsbüro, unseren Schirmherrn, Herrn Dieckmann, die Verantwortlichen des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt und der Unteren Denkmalschutzbehörde, des Bauordnungsamtes des Landkreises Harz, der Stadt Oberharz am Brocken nennen. Ohne die Fördermittelgeber und Stiftungen, wie etwa die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, die Rudolf-August-Oetker-Stiftung, die Reemtsma-Stiftung, die Ostdeutsche Sparkassenstiftung und Harzsparkasse, Lotto-Toto Sachsen-Anhalt wäre das Vorhaben nicht realisierbar gewesen. Die Marketingagentur „Maco Vision GmbH“ aus Wernigerode hat professionell unterstützt und auch die Presse hat uns gut begleitet.
Redaktion: Was war für Sie die prägendste Erfahrung?
Cosima Pilz: Berührend waren für mich die große Anteilnahme der Besucher, die Erforschung der Vergangenheit der Kirche und die vielen Geschichten, die ich in dieser Zeit gehört habe. Wenn gestandene Männer vor Rührung mit Tränen in den Augen in der Kirche stehen, weil sie sich an persönliche Begebenheiten erinnern, weiß man, dass man das Richtige tut. Dass der Ab- und Aufbau wie vor 100 Jahren funktionierte war faszinierend. Beispielhaft für die Industrialisierung im Bauwesen wurde sie damals in der Fabrik gefertigt und am Ort aufgebaut.
Redaktion: Der Umzug ist fast komplett abgeschlossen – wie ist der aktuelle Stand?
Cosima Pilz: Wir konnten schon im Sommer Baustellenführungen mit Spendenmöglichkeit anbieten, denn durch die Pandemie konnten geplante Veranstaltungen nicht stattfinden, so dass auch Einnahmen fehlten. Seit Ende Oktober können wir die Besucher leider nicht in die Kirche bitten, da die Fußbodenverlegearbeiten laufen. Am 4. Dezember 2021 veranstalten wir, sofern es die Pandemie zulässt, einen Weihnachtsmarkt und im Frühjahr werden wir mit allen Beteiligten und Besuchern „richtig“ Einweihung feiern können.