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Holger Reinhardt: „Die Folgen des demografischen und strukturellen Wandels bereiten mir Sorgen“
In unserer Rubrik „Denkmalschutz in Deutschland“ sprechen wir mit den deutschen Landeskonservatorinnen und Landeskonservatoren über ihre Arbeit, die aktuelle Situation in ihren Bundesländern und die größten Herausforderungen. Für diese Ausgabe haben wir mit Holger Reinhardt, Landeskonservator des Freistaates Thüringen, gesprochen. Er berichtet von einem größeren Bewusstsein für das Kulturerbe in Thüringen, aber auch von den drohenden Problemen, die der demografische und strukturelle Wandel mit sich bringen. Darüber hinaus betont er die wichtige Rolle von Denkmalschutz in der aktuellen Debatte um Klimaschutz und Nachhaltigkeit.
Redaktion: Wie würden Sie Ihre Arbeit und deren Bedeutung einem Außenstehenden erklären?
Holger Reinhardt: Kunst und Architektur prägen, bewusst und unbewusst, die Wahrnehmung unseres individuellen Lebensumfeldes. Neben den sozialen Beziehungen haben sie maßgeblichen Einfluss darauf, wie sehr man sich mit dem Ort oder der Region, an denen man sich überwiegend aufhält, identifiziert, sie als seine Heimat betrachtet. Das ist unabhängig davon, ob man in diese Region hineingeboren wurde oder ob man zugewandert ist. Je harmonischer und ästhetisch interessanter diese Orte sind, desto leichter und tiefer ist in der Regel diese Identifikation. Aufgabe der Denkmalfachbehörde und eines Landeskonservators ist darauf hinzuwirken, dass Identitäten prägende Landschafts- und Ortsbilder, baukulturelle und künstlerische sowie allgemeine ästhetische Werte nicht kurzfristigen ökonomischen Interessen oder mangelndem kulturellem Verständnis zum Opfer fallen und eine angemessene Betreuung und Pflege zur Bewahrung dieser baukulturellen und künstlerischen Werte erfahren.
Denkmalpflege zielt auf den Bestandserhalt baukultureller Werte. Mit der ihr immanenten, aus ihrem gesellschaftlichen Auftrag resultierenden Prämisse des Vorranges von Reparatur, Instandsetzung und Nachnutzung vor Abbruch, Entsorgung und Neubau bei gleichzeitiger Vermittlung kultureller Werte ist sie wegen der damit verbundenen Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit ein Vorreiter für den Klimaschutz. Sie hat damit Vorbildcharakter für den Umgang mit allen Bestandsbauten. Schließlich sind in ihnen enorme Mengen natürlicher Ressourcen und energetische Aufwendungen für Materialgewinnung, Baustoffherstellung und Transport sowie die eigentlichen Bauprozesse gebunden. Bestandsbauten haben folglich einem enormen volkswirtschaftlichen und ökologischem Wert. Bei Denkmalen kommt noch ein kultureller „Mehrwert“ hinzu. Je länger die Lebens- und Nutzungsdauer eines Gebäudes, je mehr Nachnutzungen erfolgen, desto höher ist also auch der ökologische Nutzen für die Erde und somit uns alle.
Redaktion: Wie ist die aktuelle Situation der Denkmale in Thüringen und was hat sich in den letzten Jahren verändert?
Holger Reinhardt: Das gesellschaftliche und politische Bewusstsein für unser baukulturelle und baukünstlerisches Erbe und dessen Bedeutung für die Gesellschaft hat sich in den vergangenen ca. zehn Jahren in Thüringen nach meiner Einschätzung deutlich verbessert. Dazu haben sowohl die zunehmende Sensibilität der Öffentlichkeit gegenüber der akuten Gefährdung ortsbildprägender Baudenkmale als auch die große mediale Aufmerksamkeit für die Bemühungen des Freistaates Thüringen zur konsequenten Durchsetzung des Denkmalschutzgesetzes im Fall von Schloss Reinhardsbrunn, einem Objekt von großer landesgeschichtlicher Bedeutung, beigetragen. Damit verbunden waren auch erfolgreiche Anstrengungen um den Erhalt der zahlreichen Schlösser und Herrenhäuser in Thüringen. Schließlich haben wir als demokratische Gemeinschaft mit der gesellschaftlichen Aneignung ehemals herrschaftlichen Eigentums nach Abdankung der Fürsten 1918 und Enteignungen im Zuge der Bodenreform 1945 auch Eigentümerverantwortung übernommen, der gerecht zu werden ist. Dies erkennend, wurden die Bemühungen um diesen Teil des baukulturellen Erbes mit großer politischer Unterstützung massiv verstärkt.
Das hat sich in einem Sonderinvestitionsprogramm für Schlösser, der verstärkten Beratung für Schlosseigentümer und den Bemühungen um die Aufarbeitung der durch die historische politische Kleinteiligkeit Thüringens besonders dichte Residenzkultur niedergeschlagen. Auch der Umstand, dass es in Thüringen kaum noch durch Verfall gefährdete Kirchen gibt, macht mich froh. Die seit über 10 Jahren stabilen, ja sogar gewachsenen Möglichkeiten der Denkmalförderung aus dem Landeshaushalt und aus den einschlägigen Programmen der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien haben dazu entscheidend beigetragen.
Sorgen bereiten mir die Folgen des demografischen und strukturellen Wandels in den Dörfern, Klein- und Mittelstädten. Einerseits verlieren diese durch die rapiden Veränderungen im Kaufverhalten und bei den Handelsstrukturen die Attraktivität und Multifunktionalität ihrer Zentren: Anderseits droht durch den demografischen Wandel sowie Fehlprognosen bei kommunalen Leitplanungen nach 1990 bedingten Gebäudeleerstand die schleichende Auflösung von über Jahrhunderten gewachsenen Orts- und Stadtstrukturen und damit der Ortsbilder. Das alles wird negative Folgen für die Attraktivität einiger dieser Orte und in Folge für die Kulturlandschaft Thüringen haben. Leider verliert Thüringen pro Monat ca. zehn Kulturdenkmale oder Bestandteile von Denkmalensembles, während die Zahl der Neueintragungen in das Denkmalbuch bei durchschnittlich zwei Objekten liegt. Das gibt Grund zur Sorge.
Redaktion: Was war bisher die größte Herausforderung, die Sie mit Blick auf die Denkmallandschaft beschäftigt hat, und auf welchen Projekten liegt derzeit Ihr Hauptaugenmerk?
Holger Reinhardt: Dies ist eine kaum zu beantwortende Frage. Als Landeskonservator wird man stets mit wechselnden, aber immer interessanten Herausforderungen konfrontiert. Das kann sich auf einzelne Objekte oder Objektgruppen beziehen, durch Jubiläen bedingte Schwerpunktsetzungen wie das 500. Reformationsjubiläum 2017 oder 100. Gründungsjubiläum des Bauhauses 2019 begründet oder mit aktuellen gesellschaftspolitischen Entwicklungen verbunden sein. Einige dieser Herausforderungen habe ich oben ja schon angerissen.
Neben den Herausforderungen, die sich aus dem Klimawandel, die zunehmende Ressourcenverknappung und immer spürbarer werdenden Fachkräftemangel ergeben bereiten mir die zunehmenden Verluste der bauästhetischen Prägung von Bestandsbauten und von Ortsbildern in Städten und Dörfern durch unsensible Renovierungen Sorgen. Die Vermittlung und Bewahrung baukulturelle Grundlagen und Werte ist eine immerwährende Herausforderung. Auch die Einführung und Beteiligung an digitalen Verwaltungsverfahren ist derzeit eine Hauptaufgabe.
Redaktion: Wenn Sie im Rahmen Ihrer Tätigkeit einen Wunsch frei hätten, welcher wäre das?
Holger Reinhardt: Mit einem Wunsch ist es leider nicht getan. Ich nehme mir daher die Freiheit, gleich mehrere zu äußern:
- Mehr Zeit, um etwas für kulturelle Bewusstseinsbildung und die Vermittlung baukultureller Werte bei der Jugend ebenso wie bei Behörden und Entscheidungsträgern zu haben
- Mehr Zeit und Kraft, um dafür zu werben, der Denkmalpflege und dem Denkmalschutz in unserer Gesellschaft den ihnen angemessenen Stellenwert beizumessen, den dieser Kulturbereich sowohl für die ökologische Nachhaltigkeit als auch die Vermittlung kultureller Werte sowie des sich aus denkmalpflegerischer Tätigkeit ergebenden technischen und materialtechnischen Wissens ergeben
- Mehr Kraft für die Vermittlung der Bedeutung von den der Denkmalpflege immanenten, ureigenen Grundsätze und Methoden von Pflege und Reparatur, Nachnutzung und Wiederverwendung im Sinne der Schonung unserer endlich gewordenen natürlichen Ressourcen
Denn Denkmalpflege ist nicht Teil unserer aktuellen gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen und Probleme, sondern Teil ihrer Lösung. Aus diesem Grund appelliere ich auch, allen Bestrebungen zur Aufweichung bestehender gesetzlicher Regelung einseitig zu Lasten des baukulturellen Erbes beherzt entgegenzutreten.